Den Bogen nicht überspannen
Gastbeitrag von Uwe Berghaus, DZ BANK Firmenkundenvorstand, erschienen in der Börsen-Zeitung, 7. Februar 2020
Brexit, Handelsstreit, Iran und Klimawandel: Die Herausforderungen für die Weltwirtschaft nehmen nicht ab. Vor diesem Hintergrund bewertet Uwe Berghaus die aktuelle Situation des deutschen Mittelstandes. Der Firmenkundenvorstand der DZ BANK hält Ausgaben für Forschung und Entwicklung, Innovation und Klimaschutz für unverzichtbar - trotz globaler Krisen und einer unsicheren Konjunkturlage.
Aufschwung oder Abschwung? Trotz einer merklichen Abkühlung der weltweiten Konjunktur zeigt sich der deutsche Mittelstand auch für das Jahr 2020 widerstandsfähig. Mit einer hohen Bilanzqualität und ausreichend großen Eigenkapitalpuffern sind die Unternehmen hierzulande solide aufgestellt. In Gesprächen mit unseren Kunden spüren wir jedoch eine zunehmende Ungewissheit mit Blick auf die kommenden Monate. Das spiegelt sich auch in der Mittelstandsstudie von DZ BANK und dem Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken wider. Demnach bewerten die Unternehmen nicht nur ihre aktuelle Geschäftslage insgesamt schlechter. Vielmehr verzeichnen wir bei den befragten Mittelständlern einen regelrechten Einbruch der Geschäftserwartungen für 2020.
Mit einer Entspannung des Handelskonfliktes zwischen China und den USA haben sich zwar die konjunkturellen Erwartungen mit Blick auf den Welthandel zuletzt aufgehellt, doch die kurze Verschnaufpause für stärker exportorientierte Mittelständler könnte schon bald ein jähes Ende finden. Die Gefahr von neuen Zöllen und einem verschärften Handelsstreit zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union liegt in der Luft. Die unsichere Lage im Welthandel belastet vor allem das Auslandsengagement, das im vergangenen Jahr ein neues Allzeit-Tief erreichte.
Abwarten gefährdet Zukunftsfähigkeit
Auf die unruhige Weltlage reagiert der deutsche Mittelstand aktuell vor allem mit Zurückhaltung. Die Investitionsneigung geht kontinuierlich zurück. Vorsicht scheint das Gebot der Stunde. So ergab unsere Mittelstandsstudie, dass von den mittlerweile nur noch 75 Prozent der mittelständischen Unternehmen mit Investitionsabsichten weniger als 30 Prozent ihr Investitionsvolumen erhöhen wollen. Seit zehn Jahren fiel dieser Wert nicht mehr so gering aus. Von einer Trendwende in der Industriekonjunktur ist damit momentan nicht auszugehen.
Brexit, Handelsstreit, Iran und Klimawandel: Die Herausforderungen für die Weltwirtschaft nehmen nicht ab. Vielmehr ist die andauernde Unsicherheit im globalen Handel eine neue Realität, an die es sich anzupassen gilt. Doch mit der abwartenden Haltung berauben sich die Unternehmen selbst ihrer Möglichkeiten, die Weichen für die Zukunft zu stellen. So stärkt das rückläufige Engagement im Ausland die Marktposition internationaler Wettbewerber und deutsche Unternehmen riskieren Umsatzeinbußen und Gewinnverluste.
Auch beim Thema Klimawandel drohen Mittelständler den Bogen der Vorsicht zu überspannen. Dies zeigt eine repräsentative Befragung von kleinen und mittelständischen Unternehmen im Auftrag der DZ BANK. Demnach geben zwar zwei Drittel der befragten Unternehmen an, vom Klimawandel betroffen zu sein, doch nur jedes fünfte reagiert aktuell mit Maßnahmen. Auch hier zeigt sich der Mittelstand abwartend: Eine knappe Mehrheit analysiert die aktuelle Situation lediglich oder wägt nötige Maßnahmen ab.
Investitionen trotz Unsicherheit
Viele Unternehmen scheuen angesichts der unsicheren Weltkonjunktur teure Investitionen. Doch Klimaschutz und Nachhaltigkeit gewinnen als Wettbewerbskriterium zunehmend an Bedeutung und der Markt für nachhaltige Schuldscheindarlehen und Anleihen bietet längst auch für den deutschen Mittelstand die Chance, sich nachhaltig zu refinanzieren.
Nicht zuletzt steht auch im Bereich Digitalisierung und Innovation die Uhr bereits auf fünf nach zwölf. Deutschland bleibt in diesen Bereichen immer weiter hinter Wettbewerbern wie Japan, Südkorea, China, den USA und Japan zurück. Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Bertelsmann Stiftung belegt, dass sich nur rund ein Viertel der deutschen Unternehmen durch Innovationsfreude und Technologieführerschaft auszeichnet. Bei rund der Hälfte werden Innovationen hingegen nicht aktiv vorangetrieben. Hier fehlen laut Studie vor allem Risikobereitschaft und eine ausreichende Innovationskultur. Dies gelte insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen, die mit der fortschreitenden Digitalisierung und neuen Wettbewerbern ins Abseits zu rutschen drohen.
Dabei bieten sich den Mittelständlern abgesehen von den ohnehin niedrigen Zinsen verschiedene Möglichkeiten der Investitionsförderung durch Bund und Länder. Diese reichen von zinsgünstigen Krediten mit langen Zinsbindungen und tilgungsfreien Anfangsjahren bis hin zu Instrumenten, die fehlende Sicherheiten ersetzen können oder zusätzliche Tilgungszuschüsse leisten. Banken der Genossenschaftlichen FinanzGruppe stehen den Unternehmen bei der Auswahl der staatlichen Unternehmensförderung zur Seite und vermitteln öffentliche Finanzierungshilfen von KfW, Landesförderinstituten oder der Landwirtschaftlichen Rentenbank.
Auch von staatlicher Seite erhalten die Unternehmen mehr Unterstützung. So hat die Bundesregierung das dritte Gesetz zur Bürokratieentlastung auf den Weg gebracht und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier kündigte kürzlich ein neues Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand an. Immerhin mehr als 550 Millionen Euro stellt die Bundesregierung 2020 mit dem Innovationsprogramm den Mittelständlern für Forschung und Entwicklung zur Verfügung.
Es ist nun an den Unternehmen selbst, Unterstützung anzunehmen. Der Mittelstand muss sich an die neue Normalität anpassen. Ausgaben für Forschung und Entwicklung, Innovation und Klimaschutz sind trotz globaler Krisen und einer unsicheren Konjunkturlage unverzichtbar. Nur so verlieren Unternehmen in dieser von Unsicherheit geprägten Zeit nicht den Anschluss.