„Übernahme deutscher Unternehmen ist kein Zeichen der Schwäche“: Michael Holstein über die Transformation des Standorts

Michael Holstein, Chefvolkswirt der DZ BANK

Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist die Zeit der billigen Energie in Deutschland vorbei. Die Bundesregierung drückt deshalb auf dem Weg zur Klimaneutralität umso mehr aufs Tempo. Unser Chefvolkswirt Michael Holstein wirft im Interview einen Blick auf die jüngste Wärmepumpen-Diskussion und erklärt, was die hiesige Wirtschaft braucht, um den Strukturwandel erfolgreich zu begleiten.

 

Spätestens seit dem Verkauf der Viessmann-Wärmepumpen-Sparte an ein US-Unternehmen wird die Energiewende in Deutschland sehr hitzig diskutiert – überfordert die Politik Deutschlands Wirtschaft?

Die Entscheidung, ihr Unternehmen zu verkaufen, haben die Eigentümer auf Basis einer umfassenden Analyse getroffen. Ob die Politik dabei eine wichtige Rolle gespielt hat, wissen wir nicht. Ich gehe aber eher nicht davon aus. Viessmann ist eines der Unternehmen, die am stärksten von der Energiewende profitieren dürften. Das spiegelt sich auch im hohen Verkaufspreis und den Standortgarantien für die wichtigsten Produktions-, Forschungs- und Entwicklungsstandorte von fünf Jahren sowie den Hauptsitz in Allendorf von zehn Jahren wider.

Sind Übernahmen von deutschen Qualitätsunternehmen, die mit großen Investitionen verbunden sind, ein Zeichen der Schwäche oder der Stärke mit Blick auf den Standort?

Zumindest kein Zeichen der Schwäche. Deutschland ist ein großer und stark wachsender Markt für Wärmepumpen. Da kann sich die Investition in einen der Marktführer durchaus lohnen. Dennoch muss man sich hier auf einen intensiveren Wettbewerb mit ausländischen Konkurrenten einstellen. Die klassischen Standortfaktoren wie die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte, das Lohnkostenniveau und die Höhe der Unternehmenssteuern werden eine immer wichtigere Rolle spielen. Im Falle von Viessmann geht es sicherlich auch um den guten Zugang zum Vertrieb in Europa – in Deutschland also der Marktzugang über das Installationshandwerk.

Wie steht es um die hiesigen Unternehmen und was brauchen sie, um die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft erfolgreich zu begleiten?

Die Unternehmen müssen die Transformation nicht nur begleiten, sondern auch selbst schaffen. Das kann – je nach Branche – eine gewaltige Herausforderung darstellen. Dafür brauchen die Unternehmen stabile Rahmenbedingungen. Das betrifft staatliche Auflagen und die Regulierung, aber auch die Gewissheit, dass die notwendige Infrastruktur für die Transformation in Richtung Klimaneutralität zur Verfügung stehen wird. Für besonders energieintensive Industrieunternehmen, beispielsweise in der Stahl- oder Papierindustrie, ist eine realistische Perspektive in Richtung CO2-freier Produktion noch nicht absehbar. Ob grüner Wasserstoff in einigen Jahren in ausreichender Menge und zu konkurrenzfähigen Bedingungen und Preisen zur Verfügung stehen wird, ist derzeit noch höchst unsicher.

Was stimmt Sie optimistisch, dass die deutsche Industrie auch in zehn Jahren in vielen Bereichen noch führend sein wird?

Die Fähigkeit, auch in einem schwierigen Umfeld erfolgreich zu wirtschaften, haben deutsche Unternehmen in der Vergangenheit oft genug unter Beweis gestellt. Die Transformation wird für die Unternehmen in den einzelnen Branchen aber höchst unterschiedliche Herausforderungen mit sich bringen. Wir werden einen Strukturwandel mit Gewinnern und Verlierern sehen. Das ist bei einer so tiefgreifenden Veränderung unvermeidbar. Wichtig ist aber, dass die gleichen Regeln möglichst überall gelten. Eine Verlagerung von CO2-intensiver Produktion ins nicht-europäische Ausland darf nicht zu Wettbewerbsvorteilen für „schmutzige“ Produktionsmethoden führen.